Eine Rede! Eine Rede!

Politische Reden sind so eine Sache. Sie können verschiedenste Gefühle bespielen: Wut, Trauer, Stolz, Neid. Sie können informieren, über Geschehnisse, Probleme oder Lösungen. Oder sie können unfassbar langweilig sein. Die feierliche Eröffnung der Politischen Gespräche des Europäischen Forums Alpbach 2019 war, bewusst oder unbewusst, eine Abhandlung über die politische Rede als Medium.

Das begann schon beim allerersten Part: Zwei performance-KünstlerInnen interpretierten die Rede „Your Majesties“ von Barack Obama, die er hielt, als ihm der Friedens-Nobelpreis verliehen wurde. Einer der beiden stand auf der Bühne und hielt die Rede; seine Partnerin stand hinter dem Publikum und ahmte seine Bewegungen nach. Während er sprach, wurden diese Bewegungen immer bizarrer: Zuerst ging er nur durch den Raum, dann begann er zu springen, auf den Sessel zu klettern, riss sich das Sakko herunter, lehnte sich zurück bis in die Brücke. Man könnte es interpretieren als ein Abbild der Skurrilität der Tatsache, dass der Kommandant der mächtigsten Armee der Welt, die sich zu diesem Zeitpunkt in zwei Kriegen befand, den Friedens-Nobelpreis erhielt. Dieses Spannungsfeld sprach Obama in der Rede selbst an, und je länger er sprach, desto deutlicher wurde die Abstrusität der Situation; die körperlichen Verrenkungen des Künstlers unterstrichen lediglich die existierenden verbalen Verrenkungen der Rede.

Mit solchen Gedanken im Kopf applaudierte das Publikum – und es folgte ein Reigen an tatsächlichen, ungespielten Reden. Besonders spannend waren dabei die Ansprachen der beiden (auf dem Papier) mächtigsten Personen im österreichischen Staat: Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Sie sprachen direkt hintereinander, und ihre Reden hatten eine seltsame Dynamik. In beiden Reden ging es um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, das Kernthema des diesjährigen Forums. Doch da enden schon die Gemeinsamkeiten.

Erstens hätte die Art des Vortrags unterschiedlicher nicht sein können: Bierlein sprach ruhig, fehlerfrei, perfekt einstudiert. Sie präsentierte eine Abhandlung über den Rechtsstaat, erklärte das Spannungsfeld Freiheit-Sicherheit auf theoretischer Ebene. Sie wirkte vorsichtig, als ob sie nur nichts Falsches sagen wolle. Ihre Rede war inhaltlich schlüssig, aber mechanisch; es wirkte, als wolle sie das Publikum vor allem informieren.

Van der Bellen hingegen eröffnete mit: „Es ist eigentlich schon alles gesagt worden“, und hielt die Rede daher – scheinbar – aus dem Bauch heraus, erlaubte sich sogar ein paar Hoppalas (beispielsweise, als er den Namen der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze vergaß). Indirekt schien er sogar Bierlein zu kritisieren, wenn er sagte, dass es nicht reicht, nur auf das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit hinzuweisen (in seinen Worten: „Ja eh, geschenkt“), sondern sich zwischen den beiden entscheiden müsse. Das sei Aufgabe einer aktiven Regierung. Aber er selbst könne das nicht tun, wie er mit Augenzwinkern anmerkte, denn er sei ja „kein Politiker, sondern Bundespräsident“. Und er dankte den AktivistInnen von Fridays for Future, lobte ihre Initiative und ihren Kampfgeist. Im Gegensatz zu Bierlein wollte er aufrütteln, zur Tat aufrufen.

Zwei Reden zum selben Thema, diametral unterschiedlich in Form und Funktion. Die Performance zu Beginn lud ein, kritisch zu reflektieren über den Effekt politischer Ansprachen. In diesem Sinne brachte schon die Eröffnung des politischen Alpbach-Abschnitts die Möglichkeit, Politik kritisch zu hinterfragen – und etwas über sich selbst zu lernen: Nämlich, wie sich politische Kommunikation auf die eigene Meinung auswirkt. Wer das verstanden hat, ist umso besser in der Lage, sich Meinungen zu bilden und demokratische Entscheidungen zu treffen. Bleibt zu hoffen, dass das Publikum diese Gelegenheit zur Selbstreflexion wahrnahm.

von Philipp Grüll